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Kulinarische Pornografie

Da liegt sie nun auf deinem Teller und schwitzt. Die dicke, pralle, feisse Blutwurst-fleischgewordene phantasmaorgiastische Lust an der unstillbaren Gier. Das Objekt deiner urmenschlichen archaischen Lust auf das grosse Fressen. Da liegt sie auf deinem Teller und schwitzt und wartet auf die Dinge, die nun halt bald geschehen werden…


Bluthunde, wollt ihr ewig leben? Es muss halt sein – keine christliche Blutwurst hat das Recht auf ein ewiges Leben. Gleich wirst du sie entjungfern, sie exzidieren, wirst das schlecht geschliffene Messer des Bärenwirten auf der prallischen phallischen Haut ansetzen, um den ersten, tiefen Schnitt zu tun in das Innere dieses göttlichen Geschenkes aus dem Bauch eines glücklichen Schweines.

 

Gleich wird sich das gestockte Blut über deinen Teller ergiessen, sich mit dem glasklaren Saft der Apfelschnitze vermählend und mit der Knusperkruste deiner Rösti, als einzige, grandiose Ode an den orgiastischen Genuss, blutgewordene Materie der Sinneslust.

Doch noch liegt sie einfach so auf dem Teller und schwitzt in blutwurstiger Unschuld vor sich hin in ihrem engen Seelein aus Zwiebelschweize in altvettelischer Pracht. Die Blutwurst verlangt nach Assemblage mit der rosinenlastigen Leberwurst auf dem Teller.

Denn merke, Wanderer, der du nach Sparta kommst, um dort zu erzählen, du habest uns hier liegen und fressen sehen: Die absolutistische Sensation der Geschmäcker, das Spektakel der eruptiven Orgie in Blut und Leber verlangt die symbiotische Mariage der beiden euphorischen Genüsse.

Das excludiert eine vorgängige schamvolle Separation auf dem Teller. Die beiden müssen heiraten, damit die Ehe im Bauch vollzogen werden kann. Blutwurst zu Blutwurst, Leberwurst zu Leberwurst – so ist der wahre Glaube. Also braucht es die extrakorporale Vereinigung auf dem Teller, lange, lange, bevor sich die beiden Extreme im Mund der harmonischen Symbiose hingeben, um sich dann, ermattet als blosse Materie, mit etwas Sauerkrautbegleitung auf den langen, langen Weg aller Dinge zu machen. Gesegnet sei ihr Angedenken, gelobt sei ihr Ruf  – aus Erde ist sie geworden, zu Erde muss die Blutwurst werden…

 

Die regelmässige Blutwurstorgie scheint für Geniesser ein gutes Medikament, um alt und klug und erst noch glücklich zu werden. Die alte Frau Ringier aus Zofingen geht jetzt dann in ihr 103. Lebensjahr, und grad zleid lässt sie sich sechsmal im Jahr in den Bären nach Bözen chauffieren, stärkt hier ihr Zipperlein und schöpft mit einer autochthonen Blutundläbärewurschtdiät neue Kräfte für den langen Winteralltag.

Womit bewiesen wäre, dass eine gastwirtschaftliche Fressorgie für den Körper zumutbar ist. Und sonst hilft das eine oder andere Motilium aus der Apotheke dem Magen über das grösste Leiden hinweg. Über viele Generationen wussten die Menschen, dass der Herbst als Zeit der Trauer auch die Kompensation durch das grosse Fressen braucht. Kein Zufall, dass mit dem unaufhaltsamen Rückgang der Bauernmetzgete auch das schnelle Wachstum des Valiumverbrauchs einherschreitet.

 

Vor den melancholischen Stimmungen über die Endlichkeit des Lebens bleibt la Grande Bouffe als Seelentrost über den Bauch. Im Einklang mit der Natur wurden das Erntedankfest und die Metzgete zum harmonischen Kontrapunkt im Jahreskreis. Es galt, die Schweinchen zu dezimieren, um im Winter die überflüssigen Fresser auf dem Hof los zu sein.

Seit acht Generationen hockt ein Kistler auf dem Bären in Bözen und passt auf, sich bei den Blut- und Läbärewürsten keinen schlechten Namen zu machen, weil auch seine Söhne wieder Blutwürste mit dem guten Namen des Bären auftischen wollen. Die alten Berner schnappten sich 1460 die Herrschaft Schenkenberg und posteten 1514 die Flecken Bözen, Effingen und Elfingen.

Um Gericht und Recht zu sprechen, spricht! um aus den Dörflern eine Menge Nutzen herauszupressen, wurde der Bären niederes Gericht und erhielt 1517 ein Tavernenrecht. Acht Generationen von Kistlern liegen im Grab und täten wohl von dort unten heraufpoltern, würde der Hans Kistler seine Blutwürste nicht genau so machen, wie man es ihm gelernt hat.

 

Eine gute Blutwurst ist würzig dezent, nicht überwürzt, schön mild mit ordentlich viel Rahm. Ein hervorragend glänzender schöner Schnitt, ein wunderbar glänzender Spiegel. Die Normalen sparen am Material, sparen am Rahm, sparen an allem, nur nicht am Koriander und dem immergleichen Industriegewürz, hinter dem sie ihre schwachen Leistungen verstecken.

Natürlich wollen die modernen Leute nicht, dass beim Anschneiden der Blutwurst ein Fettsee herausläuft. Darum nimmt der Hans Kistler seit Jahren etwas mehr Rahm und weniger Böllenschweize, das macht den Fettanteil kleiner. Doch immer, wenn der Hans Kistler mit dem Störmetzger Abweichungen vom Familienrezept machen wollte, sind die Würste nicht so herausgekommen, wie man sich das als Gast vom Bären gewohnt ischt.

Heute darf das Schweinchen ja nicht mehr einfach sterben, es muss zuerst ins Schlachthaus in den Operationssaal gefahren werden, auf dass es dort in der Todeszelle mit Hunderten von aufgeregten Schweinen das Zeitliche segne. Das Tierchen kommt dann zurück in den Bären und sein Blut folgt ihm im Kesseli nach.

Natürlich stürmen die müden Brüder auch schon, er müsse seine alte Waschküche plätteln lassen. Sterilisieren wie einen Operationssaal, dabei haben schon acht Generationen in dieser Waschküche ihre kleinen Schweinereien gemetzget und sind auch nicht unglücklicher gestorben, als wir dummen Siechen einmal sterben werden.

 

Als der alte Störmetzger vom Bären so langsam das Ende seiner Tage näher kommen fühlte, sorgten die Schutzengeli aller Blut- und Leberwurstesser dafür, dass er vor dem Totenbett seine Geheimnisse einem jungen strammen Metzgerborscht anvertrauen konnte. Müller heisst der junge Störmetzger, es gibt ja so viele Müllers, und man will ja nicht, dass seinem Metzgetewirt der Störmetzger abhanden kommt – horrible dictu – vor so schrecklicher Moritat möge uns Blutwurstsüchtigen das gnädige Schicksal bewahren.

Weisse Weinbeeren in der Leberwurst, das wäre noch Oberaargauer Landesbrauch. Das zeigt, dass Bözen früher gutbernisch war. Hier im Fricktal wird das schon nicht mehr so gemacht. Auf das Sauerkraut ist dann die Beatrice Kistler stolz, sie raffelt Äpfel und Kartoffeln hinein, und immer, wenn es trocken werden will, setzt sie noch äs grosses bizzeli Weisswein zu.

Doch was ist dann anders bei einer Bratwurst, die für die Bauernmetzgete im Bären gewurstet wird? Da wäre einmal das Fleischverhältnis, und dann stossen die ihre Würste von Hand und nicht mit der Maschine. Die Bratwurst hat gröberes Brät, weil der Störmetzger nur den Wolf braucht und keinen Blitz. Bis zu sechs Mal nimmt der Hans seine Wurst in die Hand, bis sie endlich in der Pfanne liegt, um gebraten, geliebt und gewürdigt zu werden.

Das schafft schon eine Beziehung zur Schweinsbratwurst. Aber sicher gäbe es fertige Zwiebelsauce zu kaufen, und die wenigsten Gäste täten das merken, und genau so sicher kauft er so etwas eben nicht. Die Apfelschnitzli kommen vom eigenen Hochstämmer, die pflegt er selbst. Er rechne besser nicht aus, wie viele Stunden er an einer Metzgete arbeitet.

Täte man das ausrechnen, dann könnte man so eine Wurst schon gar nicht mehr verkaufen, es könnte sie keiner bezahlen. Er tut es nur, weil er es gerne tut, er nimmt dann mit dem Störmetzger im Waschhüüsli noch ein Glas Wein, und die hocken zusammen und sagen sich, Hauptsache, sie haben wieder einmal Freude an einer schönen Metzgete gehabt.

 

Metzgete beim Bärenwirt in Bözen. La grande bouffe im Baselbiet. Die meisten Störmetzger sind schon ältere Männer. Es gibt im Leben Sachen, die täte man dem besten Freund nicht ausleihen. Das Auto vielleicht noch, die Frau schon eher weniger und ganz sicher nicht den Störmetzger oder die Adresse einer guten Wirtschaft, wo noch ein Wirt schafft und eine gute Metzgete macht.

Die klassische Bauernmetzgete stirbt. In zwanzig Jahren wird so eine Blutwurstorgie wie hier im Bären nicht mehr stattfinden, weil die letzten wahren Geniesser im Grab vermodern oder im Seniorenheim beim Münzentee hocken. Es wächst eine neue Generation heran, die ist geil auf holländische Industriepizzas aus der Tiefkühltruhe.

Es stimmt doch und ist die Wahrheit – die meisten Gäste hier im Bären haben schon graue Haare. Ich  giesse uns noch ein Glas Sylvaner ein, vom Bözer Sörenhof, gekeltert von Fehr&Engeli, und lächle den vitalen Genussvirtuosen und Blutwurstlüschtling Leo Egloff an und bin glücklich: «Schön, dass wir jungen Männer gar keine Haare auf dem Kopf haben, die grau werden könnten…»

 

von

Daniel E.

(Text) und

Tony Baggenstos

(Fotos)

 

Dieser denkwürdige Text wurde uns von Salz&Pfeffer zur Verfügung gestellt.

Ausgabe:
Salz&Pfeffer 10 2000

Gasthaus zum Bären

Mittenimdorf

5076 Bözen

062 876 11 37

Fax 062 876 11 49

baeren-boezen@bluewin.ch

 

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